Historisch gesehen, geht die Gründung der Vinzenz-Konferenzen auf den Heiligen Vinzenz von Paul (1581-1660) zurück, der für ein Leben in der Nachfolge Jesu Christi, im Dienst für Arme, Kranke, Leidende und sonst in Not Geratene steht. Seine Sorge galt besonders den Bettlern und Kranken, die er durch freiwillige Helferinnen und Helfer in ihrem Lebensbereich zu Hause aufsuchen ließ. Die Betreuung der Bedürftigen in ihren eigenen vier Wänden durch Ehrenamtliche des sozialen Umfeldes war für die damalige Zeit etwas Neues und somit ein Markstein auf dem Weg der Caritas der Gemeinde.
Der Geist des Vinzenz von Paul leitete den 20-jährigen Studenten und späteren Universitätsprofessor an der Pariser Sorbonne Friedrich Ozanam (1813-1853), als er 1833 mit sechs Freunden die erste Vinzenz-Konferenz in Frankreich gründete, eine Bewegung, die sich schnell in Europa und in der ganzen Welt ausbreitete. Aus Anlass der Seligsprechung Friedrich Ozanams am 24. August 1997 in Notre Dame in Paris findet seitdem am jeweils letzten Sonntag im August eine Wallfahrt der deutschen und der benachbarten niederländischen Vinzenz-Konferenzen nach Kranenburg am Niederrhein statt.
Die Vinzenz-Konferenzen waren in der katholischen Kirche die erste größere Laienorganisation und in ihrer Absicht, durch soziale Arbeit ein Zeugnis für die Lebenskraft des Glaubens zu geben, eine beispielhafte Verwirklichung der Idee des Laienapostolats. Die spirituelle Grundhaltung und Caritaspraxis des Vinzenz von Paul wurden mit der Gründung der Vinzenz-Konferenzen durch Ozanam neu aufgegriffen. Ihm gelang es, die von Vinzenz von Paul begründete Hilfe für den notleidenden Nächsten wieder als allgemeine christliche und gesellschaftliche Aufgabe ins Bewusstsein seiner Zeit zu rufen.
Vinzenz von Paul
Vinzenz von Paul wurde am 24. April 1581 als drittes von insgesamt acht Kindern eines armen Bauern in Pouy/Südfrankreich geboren. Trotz seiner Herkunft gelang es ihm, Theologie zu studieren und bereits 1600 wurde er zum Priester geweiht. Vinzenz betätigte sich nach zweijähriger Gefangenschaft in nordafrikanischer Sklaverei als Almosenpfleger, schließlich als Hauslehrer bei der Familie des Galeerengenerals de Gondi in Paris. Hier begann seine eigentliche missionarische Tätigkeit und die Gründung des ersten Caritasvereins durch die Confrèrie des Dames de la Charité, einer Vereinigung von Bürgersfrauen zur Betreuung Armer und Kranker. 1625 entstand eine eigene Gemeinschaft zur Missionierung des armen Landvolkes, die 1633 vom Papst anerkannt wurde und aus der die Lazaristen hervorgingen. Immer mehr Vereinigungen wurden ins Leben gerufen.
Gemeinsam mit Louise von Marillac gründete Vinzenz von Paul die Genossenschaft der Vinzentinerinnen bzw. der Barmherzigen Schwestern. Nächstes Arbeitsgebiet war die Reform des Klerus, die geistige Erneuerung der Priester durch regelmäßige Weiheexerzitien. Vinzenz von Paul starb am 27. September 1660. 1729 wurde er selig- und 1737 heiliggesprochen.
Vinzenz von Paul, der in der Zeit des Übergangs vom Mittelalter zur Neuzeit lebte und die Strömungen der Reformation und Gegenreformation erlebte, war kein bewusster kirchlicher oder gesellschaftlicher Reformer, auch musste er in den Umständen seiner Zeit leben und arbeiten. So bestand sein Hilfskonzept in spontaner Hilfe und persönlicher Hinwendung zu den Betroffenen, wie den Galeerensträflingen, den Findelkindern, den Flüchtlingen und den geistig Behinderten, schlicht: allen Randgruppen seiner Zeit. Er sah aber nicht nur die Notwendigkeit, Hilfen besser zu organisieren und Organisationsstrukturen zu schaffen, sondern er bot geistige und geistliche Begleitung und Hilfestellung für die Bevölkerung und den Klerus. Die Armen erkannte er als seine Brüder an, in denen er Gott begegnete. Das veranlasste ihn aber auch dazu, die Ursachen der Armut an den Wurzeln zu bekämpfen.
Friedrich Ozanam
Friedrich Ozanam wurde 1813 in Mailand geboren. Sein Vater ließ sich später mit seiner Familie als Arzt in Lyon nieder, wo er weithin als mitfühlender Familienarzt Anerkennung fand. Bis heute kennen ihn Medizinhistoriker als Verfasser einer mehrbändigen Geschichte der Epidemien. Auch Friedrich Ozanam war wissenschaftlich ambitioniert. Hochbegabt und sprachlich gebildet wurde er zunächst Professor für Handelsrecht in Lyon, 1844 seinen Neigungen gemäß Professor für vergleichende Literaturwissenschaft an der Pariser Sorbonne.
Schon mit 24 Jahren galt er als einer der besten Kenner Dantes.
1846 ernannte man ihn zum Mitglied der Ehrenlegion, ein Jahr darauf wurde sein wissenschaftliches Hauptwerk mit dem Titel „Germanische Studien“ preisgekrönt. Außerordentlich gebildet, rhetorisch brillant, reich an Erfahrungen durch zahlreiche Reisen in die europäischen Nachbarländer und von vielen hoch geschätzt, versah er bis zu seinem frühen Tod im Jahre 1853 in Marseille seinen Dienst als Professor. Immer hatte er dabei das Ziel vor Augen nachzuweisen, dass die Kirche das Erbe der Antike und der nichtchristlichen Völker in sich aufgenommen habe und Ort der Wahrheit sei.
Neben dem persönlichen Erfolg lernte er früh leidvolle Seiten des Lebens kennen. Viele seiner Geschwister verstarben und durch die ärztliche Tätigkeit seines Vaters und die sozial-caritative Tätigkeit seiner Mutter in den Arbeiterquartieren der Textilstadt Lyon kam er bald mit dem Elend der Arbeiter im Frühkapitalismus in Berührung. Seine rechtswissenschaftlichen Studien und seine Tätigkeit als Professor für Handelsrecht gaben ihm später mannigfachen Einblick in die Ursachen für das Elend dieser Menschen. Er begriff, dass die Struktur der Gesellschaft krank war. Daher erhob Friedrich Ozanam die Forderung nach geregelter Sozialpartnerschaft, nach Verträgen, gesetzlichen Garantien und Institutionen als Grundbausteine für ein neues soziales Miteinander. Er stand mit dieser Forderung und der Forderung nach Demokratie weitgehend allein im zeitgenössischen Katholizismus. Heute gilt er aber damit als einer der Vordenker der katholischen Soziallehre, in der fest verankert ist, dass persönliche Hilfe durch staatliche Gesetze und soziale Einrichtungen ergänzt und gestützt werden muss, um soziale Gerechtigkeit entstehen zu lassen und aufrecht zu erhalten
Erste Vinzenz-Konferenz bereits 1833
Friedrich Ozanam begnügte sich jedoch nicht mit sozialpolitischen Forderungen oder mit der Forderung nach zeitnaher religiöser Bildung und nach dem Laienapostolat, die er als Führer der katholischen Studentenschaft erhob. Bereits als 20 jähriger Student griff er die Gedanken des Heiligen Vinzenz von Paul auf und gründete 1833 eine caritative studentische Konferenz, die später den Namen Vinzenz-Konferenz annahm. Seine Idee, die gemeinschaftliche Hilfe für Notleidende in Konferenzform zu systematisieren, verbreitete sich schnell und ließ in ganz Europa zahlreiche Vinzenz-Konferenzen entstehen, die oft die letzte Hoffnung der Armen darstellen. In Deutschland markierte der „Vinzenz-Verein“ den Beginn der organisierten Caritas. Friedrich Ozanam wirkt in den Konferenzen nicht als organisatorische Leitfigur und Zentralpunkt einer Bewegung, sondern mehr als Anreger und Motor im Hintergrund, dem es darum geht, Menschen zu motivieren, ihren Glauben in einer Praxis der Nächstenliebe zu verwirklichen und zu bezeugen.